staun on Mon, 12 Aug 2002 02:40:01 +0200 (CEST)


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[rohrpost] universal gehirnwäscher


Kleiner Text über popfile.de und Co., den ich für die FAS geschrieben
habe.
Und da deren Internet-Angebot ja bekanntlich sehr dürftig ist, kriegt
ihr's halt so.
Harald
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Teile und herrsche
Die Plattenlabels bekämpfen die Musiktauschbörsen - und treffen damit
ihre besten Kunden

Man kann nicht unbedingt behaupten, daß der
Unterhaltungskonzern Universal seinen Kunden ein gutes
Erinnerungsvermögen
unterstellt. Am Freitag startete der weltweit größte Plattenverlag
seinen
neuen Download-Dienst für Deutschland, und eine mittlere Amnesie war
schon
ganz hilfreich, um das Neue und Spektakuläre daran auch zu begreifen.
Wer
bei popfile.de Songs erwirbt, verkündete die Neuberliner Firma, der
könne
sich diese Stücke auch in seinen MP3-Player laden oder auf CD brennen.
Dabei
dürften selbst die jüngeren unter den CD-Käufern noch miterlebt haben,
daß
das Kopieren von CDs oder MP3s auch einmal ohne tiefere
Informatikkenntnisse
möglich war, damals, in der guten alten Zeit der Musikindustrie, vor
Krise,
Kopierschutz und Kriminalisierung - vor etwa einem Jahr also.
Natürlich ist es nicht das erste Mal, daß ein Plattenverlag einen neuen
Trend verkündet und man wie der Schweizer Ricola-Mitarbeiter aus der
Werbung
die stolzen Marktschreier gerne noch einmal fragen möchte: "Wer hat's
erfunden?" Wenn die neue Großzügigkeit Schule macht, kommen vielleicht
demnächst auch Bücher auf den Markt, die mit einem Etikett dafür werben,
daß
ihre Käufer laut daraus vorlesen können, und die eine Lizenz beinhalten,
die
gestattet, daß sich die Seite nicht sofort nach dem Lesen auflöst,
sondern
erst nach einmaligem Kopieren. Universals Versuch, mit popfile.de den
zahllosen Musik-Tauschbörsen im Internet eine kommerzielle Alternative
entgegenzusetzen, ist ein System fern jeglicher Innovation und trotzdem
das
bisher mutigste Projekt dieser Art. Im Kampf gegen die Weiterentwicklung
der
Technik unterschlägt der Dienst nicht ganz so viele Standardfunktionen
moderner Computer wie ähnliche Projekte.
Das ebenfalls bezahlpflichtige Musikportal Listen.com etwa hat extra
eine
eigene Software zum Abspielen der Dateien entwickelt, um das Brennen auf
CD
zu verunmöglichen. Mit einer Funktion zum kostenlosen Probehören kommt
popfile.de dagegen fast an die Funktionalität eines
Offline-Plattenladens
heran. Es ist nicht schwer zu erkennen, daß nicht Napster oder einer
seiner
Nachfolger hier das Vorbild abgibt, sondern ein anderes, in den
vergangenen
Jahren ähnlich erfolgreiches Distributionsmodell: der Megastore. Das
müßte
zunächst kein Nachteil sein: Die Onlineversion eines Kulturkaufhauses
käme
dem Traum einer unendlichen, digitalen Musikdatenbank sehr nahe. Gerade
an
den riesigen CD-Supermärkten kann man allerdings auch erkennen, daß etwa
die
Vielfalt des Angebots eher umgekehrt proportional zur Größe der
Verkaufsfläche ist.
In popfile.de wird wieder einmal die Hilflosigkeit einer Branche
sichtbar,
die vor ein paar Jahren von einem Phänomen überwältigt wurde und sich
seitdem chronisch mißverstanden fühlt. Computer sind bekanntlich
schlecht
für die Augen, aber die Popularität von Musiktauschbörsen hat in der
Musikindustrie eine ganz besondere Form von Kurzsichtigkeit ausgelöst:
Die
Soldaten der Konzerne schlagen wild um sich und sehen dabei nicht, daß
sie
ihre besten Freunde treffen. Es ist schon längst ein veritabler Krieg,
den
die Konzerne gegen ihre Kunden führen, mit großen Anwaltsarmeen und
Guerrillataktiken, die sie sich beim Underground des Internets
abgeschaut
haben.
Da werden gefälschte Dateien in Umlauf gebracht und Downloads
verlangsamt,
auch von Viren ist immer öfter die Rede und von neuen Gesetzen, die es
den
Labels erlauben sollen, ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen in
die
Rechner der Tauschbörsianer einzudringen. Es würde ihnen nicht schaden,
sich
statt dessen einmal genauer anzusehen, gegen wen sie da vorgehen, die
Majors
und ihre Majore: gegen fanatische Sammler, die endlich eine Kollektion
gefunden haben, die alle ihre Wünsche nach Raritäten erfüllt; gegen
Teenager, die so oft den neuen Eminem-Song im Radio gehört haben, daß
sie
ihn jetzt nicht mehr aus dem Ohr bekommen; gegen ein nicht viel älteres
Publikum, das genau jene Tatsache nicht ertragen kann, daß es kaum noch
Alternativen gibt zu 24 Stunden Formatradio; und gegen mehr oder weniger

kreative Menschen, die in der Universalmaschine ein Instrument entdeckt
haben, mit dem sie selbst Musik aus Musik machen können.
Wer mit der Vermarktung von Musik sein Geld machen wollte, der hatte
schon
immer ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er in die sogenannte Szene
eindrang
- aber die Spione und Agenten, die vorher auf den Foren der Fans
herumschnüffelten, die wären nie auf die Idee gekommen, sich in
zerstörerischer Absicht den Phänomenen der Subkultur zu nähern. Sie
suchten
Trends, keine Täter. Das Verhältnis zwischen den Zulieferern und den
Distributoren der Musikbranche, zwischen Kreativität und Kommerz war
immer
schon gespalten; aber es waren nie die Plattenfirmen, die damit ein
Problem
hatten. Sie waren einmal näher dran, an der Subversivität ihrer
Klientel.
Die Tauschbörsen des Internets haben den Musikmarkt verändert, auf ganz
andere Weise, als das die Kulturwirte an ihren einbrechenden
Verkaufszahlen
ablesen. Wer sehen will, "wo Szenen noch eigene Räume erobern", wie
Universal-Chef Tim Renner vor kurzem erklärte, der wird im Internet
womöglich leichter fündig als in Berlin.
Um herauszufinden, nach welchen Kriterien und Mechanismen die Jugend von

heute ihren Festplattenschrank zusammenstellt, muß man sich das
Verhalten
der Nutzer etwas genauer anschauen. Dann könnte man zum Beispiel
erkennen,
daß es so etwas wie eine Sehnsucht nach Ordnung im kreativen Chaos der
Tauschnetze gibt; daß die Neugier zunimmt und sich die Genres
vermischen;
daß sich das persönliche Musikwissen vertiefen läßt wie nie zuvor, indem
man
die Privatsammlungen anderer Nutzer durchblättert. Es ist eine Stelle
frei,
im unüberschaubaren Universum der digitalen Datenströme, wo alles
verfügbar
ist, aber nichts verbindlich, und wollte man ein altes Wort für diese
vakante Rolle verwenden, dann könnte es etwa "Label" heißen. Wann wäre
es
nötiger, Wertungen zu setzen, Müll auszusortieren und Hits zu finden,
als in
einer Zeit, in der täglich an Tausenden von Schreibtischen Sounds
produziert
werden? Labels sind als Orientierungshilfe wichtiger als je zuvor, aber
es
müßten schon differenziertere Beschreibungen auf den Etiketten stehen
als
"hot" oder "cool". Universalismus ist out. Daß die Fans die Musikstücke
besitzen wollen, auch wenn es sich nur um eine Computerdatei handelt,
das
liegt natürlich zum Teil am guten alten Fetischcharakter der Ware. Und
obwohl Musiktauschbörsen das Publikum im Prinzip von einer von Künstlern

oder eben oft auch Produzenten vorgegebenen Auswahl zusammengehörender
Stücke befreien, schalten sehr viele Nutzer den Rechner nicht aus, bevor
sie
nicht auch den langweiligsten Song eines One-Hit-Albums heruntergeladen
haben.
Zugleich jedoch entspringt der Wunsch, ein fremdes Stück zum eigenen zu
machen, einem kreativen Verlangen - mit dem Song zu machen, was man
will,
ihn zu verschieben und zu transferieren, zu bearbeiten und zu verändern.

Dabei macht es richtig Arbeit, sich ein ganzes Album aus dem Netz
herunterzuladen. Aber die Kids sind Workaholics. "Mit der
Digitalisierung
hat sich Musik von einem Substantiv zu einem Verb entwickelt", hat Kevin

Kelly, Editor-at-large des Magazins "Wired", einmal geschrieben. Die
Verhältnisse beginnen zu tanzen.


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