holger schulze on Wed, 29 May 2002 14:00:12 +0200 (CEST) |
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Re: [rohrpost] "Empire" - Kritik |
dazu dreierlei : 1. es hat mich schon seit mitte der 90er jahre irritiert wie plötzlich wieder immer mehr leute ganz ohne scheu, ohne peinlich zu wirken, wieder von _kapitalismus_ sprechen konnten. ein wort, das zwischen 85 und 95 kaum mehr unironisch auszusprechen war, sondern seinem sprecher eher als ein zeugnis von geistiger verwirrung und absurdem sektierertum ausgelegt wurde. 2. ich teile die diagnose von jörg lau - halte dies aber nicht unbedingt für ein argument _gegen_ empire. es spricht sogar eher _für_ dessen wirkung & bedeutung. gerade weil empire einen kursierenden jargon, eine nur halbverstandene und vage rezipierte terminologie, einen satz von quellen und denkfiguren zusammenfasst (der vergleich mit _anti-oedipe_ ist treffend) und zu einem rhetorisch beeindruckend lesbaren, wenn auch eher rhapsodisch als logisch verstehbaren text zusammenfügt, schafft es einen referenzpunkt, den viele versprengte rebellionswütige seit mitte der 90er gesucht haben. empire ist von vorneherein - rhetorisch und theorie-marktmäßig - als _das_ fehlende buch konzipiert. als die theoriewichsvorlage, das revolutionsmanifest, die messianische schrift. dass sie dies inhaltlich nur in selbstreferenz auf ein bestehendes theorie- kontinuum argumentativ stützen kann, ist nicht ungewöhnlich, sondern üblich. dies ändert nichts an wirkung und bedeutung von empire, sondern stärkt diese, wirkt als theorieverstärker und große revolutionserzählung, die all das zusammenfasst, was latent schon länger kursiert. jörg laus kritik in der zeit folgt einem muster nach dem noch alle rhetorischen manifestschriften (und welches manifest wäre nicht rhetorisch?) abgewiesen wurden. wirksam waren diese dennoch. bedeutung haben sie bis heute. 3. >Empire >verhält sich zu ernsthafter Gesellschaftskritik und Politikwissenschaft >"wie Pornografie zu Literatur". dies scheint mir vollkommen korrekt. aber auch hier gilt : eben weil es eher pornografie als literatur ist, wird es wirkung haben. im gegenwärtigen umfeld der theoriediskussionen und des symposions-zirkus auf internationaler ebene geschieht eine verstärkung der reize automatisch - nicht anders als in anderen märkten der internationalen unterhaltungsindustrie. empires bedeutung liegt genau darin : ein rhetorischer theorie-porno zu sein, der eine stimmung aufheizen hilft. dass seine dennoch bestehenden argumentativen stärken darin untergehen, ist bedauerlich - aber ebenso nicht ungewöhnlich. historisch gesehen ist es eher der normale preis einer schnellen, weitreichenden wirkung. war die historische bedeutung einer theorieschrift jemals abhängig von ihrer theoretischen redlichkeit oder gar überzeugungskraft? empire hat eine historische bedeutung. und die ist jetzt schon spürbar. dr.holger schulze soundXchange universität der künste berlin postfach 120544 d-10595 berlin http://new.editthispage.com http://www.udk-berlin.de/soundXchange ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/