sebastian on Wed, 13 Feb 2002 12:14:06 +0100 (CET) |
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[rohrpost] 2 texte (hassemer/schily) |
/* hier 2 texte, einer aus der faz vom montag <http://faz.de/berlinerseiten/hamwanich> und einer aus der jungle world von heute <http://jungle-world.com/_2002/08/30a.htm> */ --------------------------------[1]-------------------------------- Partner gegen Berlin (v.o.) "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die endlos an ihren Ämtern hängen", hat Volker Hassemer erklärt. Doch selbst wenn der ehemalige Senator für Stadtentwicklung und Kultur das genaue Gegenteil verkündet hätte - an Chefsesseln zu kleben sei die grosse Leidenschaft seines Lebens - hätten die Leute wohl immer noch verstanden, warum er jenen Posten, den er zum 1. März aufgibt, nicht gerade ungern verlässt. Geschäftsführer von Partner für Berlin wird man nämlich nicht aus Überzeugung, sondern wider besseres Wissen. Denn was die "Gesellschaft für Hauptstadt-Marketing" sich zur Aufgabe gemacht hat, ist das völlig aussichtslose Management jener Krise, die den Namen Berlin trägt. So wenig sich die triste ökonomische Realität der Hauptstadt schönreden lässt, so wenig lassen sich ihre schlecht gelaunten Bewohner freundlich schwatzen. Und so liegt dieser Tage die Versuchung nahe, sich nicht allein von Volker Hassemer zu verabschieden, sondern im selben Atemzug gleich von der ganzen Firma, deren Geschäfte er derzeit noch zu Ende führt. "Partner für Berlin hat seine Aufgabe erfüllt", hat DaimlerChrysler Herrn Hassemer zum Abschied übermittelt und - damit die Berliner auch begreifen, wie das gemeint ist - den jährlichen Beitrag des Unternehmens bis auf weiteres storniert. Um zu verhindern, dass die verbliebenen Partner ihre Aufgabe jetzt aus Trotz gar übererfüllen, hat sich auch der Burda-Verlag aus dem Kreis der Sponsoren zurückgezogen, und die Telekom denkt ebenfalls über einen Ausstieg nach. Da zudem der Senat seine Zuschüsse kürzen wird, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Marketing-Agentur - von der zu behaupten, ihre Liebe zu Berlin sei nie erwidert worden, noch beschönigend wäre - bald ganz geschlossen wird. Die wirtschaftliche Lage der Stadt spottet in der Tat jeder Vermarktung. Dass das Experiment, die beiden ehemals planwirtschaftlich organisierten Stadthälften zu einer gemeinsamen Boomtown zu vereinigen, gescheitert ist, pfeifen in Mitte längst die Spatzen von den Dächern der leerstehenden Gründerzentren. Die zwischenzeitlich zur Silicon Alley erklärte Chausseestrasse ist wieder zu einer menschenleeren Schlucht - im Volksmund: "Planiermeile" - geworden, und an der Friedrichstrasse ragen die milchverglasten Media Labs unvermietbar in den grauen Himmel. Von deren Fassaden schälen sich derzeit die letzten Plakate, auf denen junge Leute mit den blödesten Frisuren der letzen Saison die ödesten Parolen der vorletzten zum besten geben: "Willkommen in der Hightech-Hochburg des dritten Jahrtausends!" Wenn Hauptstadtwerbung in Berlin nicht funktioniert, dann aber auch deshalb, weil die Berliner die deutsche Eigenheit, keine Lüge aussprechen zu können, ohne sie selbst zu glauben, in Reinform verkörpern. Wenn sie behaupten, ihre Stadt könne sich mit Paris oder London messen, dann meinen sie das nicht im Scherz - und sie werden sofort ungemütlich, wenn man sie mit der Realität konfrontiert: dass sie sich mit dem Potsdamer Platz ein Stadzentrum errichtet haben, gegen das die Fussgängerzonen von Stuttgart oder Düsseldorf urban wirken, dass sie mit Tegel einen Flughafen betreiben, der selbst in Warschau oder Prag kaum als Busbahnhof durchgehen würde, und dass Berlin an seinen Rändern nicht in miese Banlieus oder endlose Suburbs übergeht, sondern bloss in dünne Wäldchen auf sandigen Böden. Dass an der Spree nicht einmal Kartoffeln gedeihen - und die wenigen Direktflüge statt Business-Angels auch weiterhin vor allem Grundnahrungsmittel in die Stadt bringen - ist aber nicht das Hauptproblem von Partner für Berlin. Als deren Spin Doctors 1994 ihre Arbeit antraten, lautete ihr Vorsatz, aus den Fehlern der desaströsen Olympiabewerbung zu lernen. Die kreativen Köpfe der Stadt - die gegen Olympia noch Berliner Bären mit Schuss auf wertvolle Fassaden geschmiert hatten - sollten fortan in die Hauptstadtpropaganda eingebunden werden. Damit sie daheim nichts kaputtmachen, wurden junge Künstler als "Children of Berlin" in ferne Metropolen verschickt, wo sie den Ruf Berlins als Welthauptstadt des infantilen Spassprotests zementieren halfen. Wenn die Rede von den "young urban creatives" als frohen Berlin-Botschaftern mittlerweile weltweit als Drohung verstanden wird, dann ist das allerdings kaum verwunderlich. Denn mit Superlativen wie der höchsten Polizeidichte Deutschlands lockt man auf der Gegenseite nicht gerade die hellsten Köpfe in die Stadt, und die letzten autonomen Haufen, die auf den Strassen von Mitte noch ernsthaft um Symbole kämpfen, agieren längst inmitten völlig neuer Frontverläufe: Am Hackeschen Markt werden die Anfang Dezember von der Antifa eingeworfenen Schaufenster nicht etwa ersetzt, sondern als schicker Glasbruch liebevoll konserviert. Eins nämlich haben die Storefront-Designer inzwischen begriffen: um die gut gelaunte und wild entschlossene Kaufkraft, die am 1. Mai nach Kreuzberg strömt, in die Neue Mitte umzuleiten, braucht es schon einen Hauch von Riot. Doch wer für den Schaden noch zu zahlen bereit ist, der bekommt den Spott frei Haus. Mein eigener Vorschlag nennt sich "Partner gegen Berlin", versteht sich als unabhängige Agentur für negatives Stadtmarketing und unterstützt Initiativen, die auf jener Einbahnstrasse, die Linke gern den "langen Weg nach Mitte" nennen, als Gegenverkehr unterwegs sind. Gefördert wurden zuletzt Veranstaltungen wie der "Last Tuesday", zu dem sich die Verlierer der New Economy auf "abgewetzten Sofas" (Welt), "alten Ledersofas" (Morgenpost), "schmuddeligen Sofas" (taz) und "braunen Polstermöbeln" (Spiegel) versammelten. Auch wenn es sich dabei, wie allein an dieser Stelle korrekt berichtet wurde, nur um "staubige Samtsofas" handelte, setzt Partner gegen Berlin darauf, dass wo so viel imaginärer Dreck zusammenkommt, immer auch reale Flecken bleiben. Derzeit kursiert die Nullnummer der "German Issue", in der ich mit einer Reihe von Gegen-Partnern in Zukunft monatlich für das Prinzip der Image-Beschmutzung werben möchte: "Stadtmarketing heisst, statt brüder- oder schwesterlich anderen Städten die Hand zu reichen, Standort gegen Standort um Investoren Krieg zu führen." Und so gilt die Sorge der Autorinnen und Autoren vor allem der Zivilbevölkerung. "Wer Herr einer bisher freien Stadt wird und sie nicht vernichtet, mag darauf gefasst sein, von ihr vernichtet zu werden. Was für Massregeln und Vorkehrungen der Eroberer auch trifft: wenn er die Einwohner nicht auseinanderreisst und zerstreut, vergessen sie ihre Freiheit nie." Doch nicht nur Machiavelli, auch Volker Hassemer wird zitiert: "Frankfurt und Hamburg sind doch bemitleidenswert fertige Städte", soll er erklärt haben. Selbst wenn das Zitat stimmt, wollte er vermutlich nur sagen, Berlin sei beneidenswert unfertig. Das wäre eine glücklichere Formulierung, denn in der Tat freut man sich hier über den Neid der Nachbarn weit mehr als anderswo über das Mitleid der Berliner. --------------------------------[2]-------------------------------- Der Irre von Berlin (v.o.) Wenn heute irgendwo auf der Welt ein Minister vom Internet redet, ist meist schon vorher klar, worauf er hinaus will. Das Internet soll nicht mehr, wie noch vor fünf Jahren, schneller, bunter oder gar demokratischer werden, sondern nur noch eins: sicherer. Die Pionierzeiten, in denen Regierungssprecher den Ausbau der Datenautobahnen fördern und freies Surfen für freie Netzbürger fordern liessen, sind längst vorbei. Mittlerweile entwerfen die staatlichen Expertenkommissionen fast nur noch Bedrohungsszenarien, die zumeist analog zum Geschwätz vom Verfall der Innenstädte verlaufen: In den leerstehenden Online-Malls nisten sich die Hacker ein, der ehrliche Mittelstand wird von betrügerischen Scheinfirmen verdrängt, die heimische Jugend frequentiert illegale Tauschbörsen, es häufen sich elektronische Müllberge und digitale Graffits, und wer seinen Briefkasten öffnet, läuft Gefahr, sich mit immer bösartigeren Viren und Würmern zu infizieren. Die Warnung vor den unkontrollierbaren Datenfluten, die überall dort die Firewalls der Informationsgesellschaft zu überspülen drohen, wo zu viel Freiheit im Netz herrscht, ist so oder ähnlich auch in den USA, in England oder in Japan zu hören. Dass die bizarrsten globalen Kontrollphantasien allerdings aus Deutschland kommen, hat eine ganze Reihe netzhistorischer Gründe. Von allen Industrieländern der Welt ist Deutschland am schlechtesten ins Internet gestartet. Eingeführt hat das World Wide Web nicht, wie in den USA, der Vizepräsident, sondern bloss ein ehemaliger Tennisspieler, der seitdem gleich mehrere Sportportale in den virtuellen Sand gesetzt hat. Ein ganzes Jahr lang, 1999, musste Boris Becker im Auftrag von AOL seinen Landsleuten in den Ohren liegen, er sei schon "drin" und sie noch nicht, bis die Politik endlich die Initiative übernahm. Auf der Cebit 2000 - also pünktlich zum Crash jener Ära, deren Beginn er gerade einläuten wollte - erklärte Gerhard Schröder das Internet zur Chefsache und verkündete, dass zu lange gezögert worden sei und nun niemand mehr wegschauen dürfe: alle müssten ins Netz. Konnten sie aber nicht, weil den von Becker verkörperten, aufgeschlossen-ignoranten Internet-Deutschen - der keiner Komplexität anders begegnen kann als mit der staunenden Feststellung, wie einfach das ja alles in Wirklichkeit sei - schon das Versenden von E-Mails technisch überfordert. Und so wurde in Deutschland zur bis heute einzigen nationalen Grosserzählung über das Internet die Rede von den "Computer-Indern", die den hiesigen Standort nicht nur durch ihre angeblichen Programmierkenntnisse demütigten, sondern zudem durch ihre unverhohlene Weigerung, von den Offerten der Deutschen auch nur Notiz zu nehmen. Was als Otto Schilys "Green Card"-Initiative begonnen hatte, ging binnen Wochen in Jürgen Rüttgers "Kinder statt Inder"-Kampagne über und fand vierzehn Tage später mit der bis dahin spektakulärsten Virus-Epedemie ein jähes Ende: Unter dem Betreff "iloveyou" hatte ein philippinischer Hobbyprogrammierer mit einem simplen Visual Basic Script weite Teile der deutschen Wirtschaft zum Stillstand gebracht. Regierungssprecher Heye erklärte mit sichtlich gequältem Grinsen, ein solcher Inder könne getrost zu Hause bleiben. Und als hätte er für den Spott nicht bereits gesorgt, hatte der Verfasser seinem Script auch noch die Kommentarzeile "i hate go to school" vorangestellt und so das Phantasma von den wissbegierigen und ehrgeizigen Computersklaven, die in ihren Favelas C++ und Wirtschaftsenglisch büffeln, ausgesprochen elegant gekontert. Wenn Schily heute vom Internet redet, dann lassen sich seine Hirngespinste nur vor dem Hintergrund dieses Ausflugs in den Sommer 2000 verstehen. Der deutsche Netz-Diskurs ist die Fiktion einer kolonialen Erzählung, die von einer tief enttäuschten Allmachtsphantasie handelt. Diese Enttäuschung zu überwinden gestaltet sich umso schwieriger, als die Fortsetzung der Geschichte unter völlig veränderten Vorzeichen stattfindet: auf der Tagesordnung stehen keine realen eCommerce-Offensiven mehr, sondern die Verteidigung der nationalen Infrastruktur gegen eine fiktive Bedrohung von aussen. Wenn Schily also vom Netz spricht - und kaum ein anderer deutscher Minister tut das noch - dann steht er vor der fast unlösbaren Aufgabe, den deutschen Führungsanspruch in Sachen Online-Sicherheit vertreten und zugleich den lernwilligen Deutschen verkörpern zu müssen. Da Schily aber ahnt, dass das, was er so gern "mein Haus" nennt, gegen Hacker oder Viren nicht den Hauch einer Chance hat, braucht er einen leichteren Gegner. Und so ist - seit Ende 2000 der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass Internetstraftaten auch dann noch nach deutschem Recht verfolgt werden können, wenn sie von US-Bürgern in den USA begangen werden - ausgerechnet der Feldzug gegen amerikanische Nazi-Websites zur Lieblingsaufgabe seiner Netzpolizei geworden. Auf diese Weise lässt sich das Image Deutschlands verbessern und gleichzeitig ein imaginärer Feind bekämpfen, der von fremdem Territorium aus operiert. Ohnehin haben die Auslandseinsätze der Bundeswehr gezeigt, dass eine deutsche Beteiligung an internationalen Polizeimissionen nur zu haben ist, sofern es gegen Hitler oder Auschwitz geht. Doch wenn Deutsche gegen Nazis in den Infowar ziehen, dann neigen sie - nach der Logik einer anderen nationalen Grosserzählung - dazu, das ganze Netz in Schutt und Asche zu legen. So verkündete Schily Anfang 2001, er könne sich vorstellen, die US-Provider von Nazi-Sites mit Denial-of-Service-Attacks (verteilten Angriffen, bei denen Server so lange mit Datenpaketen beschossen wird, bis ihnen die Bandbreite ausgeht) in die Knie zu zwingen. Doch solche Attacken galten in den USA schon vor dem 11. September als Cyber-Terrorismus, und im Fall eines Gegenschlags - der Mossad dreht, gedeckt durch israelische Gerichtsurteile, T-Online das Netz ab, weil deren Kunden Wagner-MP3s zum Download anbieten - hätte man hierzulande wohl einen digitalen Holocaust heraufziehen sehen. Die Reaktion der Amerikaner blieb vergleichsweise höflich: ein Sprecher des Justizministeriums liess Schily ausrichen, die Auslieferung von US-Bürgern, die in den USA gegen deutsche Gesetze verstossen, könne er vergessen. Notgedrungen ging der Innenminister für eine Weile auf Tauchstation und überliess seiner Kollegin Herta Däubler-Gmelin das Feld, die alsbald den von jeder technischen Kenntnis ungetrübten Vorschlag machte, Besucher von Nazi-Websites sollten automatisch zu einem staatlichen Portal gegen Rechts umgeleitet werden. Solche Deutsche hat man gern. Inzwischen hat sich jedoch auch Schily zurückgemeldet: Durch Lobbyarbeit bei der korruptesten aller Netzbehörden, der "Weltorganisation für geistiges Eigentum" WIPO, hat er erreicht, dass zumindest auf bundesinnenministerium.com und verfassungsschutz.org keine Hakenkreuze mehr zu sehen sind. Und sogar für den unwahrscheinlichen Fall, dass es dennoch zur Machtergreifung kommt, hat Schily jetzt vorgesorgt. Mit Telekom-Chef Ron Sommer hat er Mitte Januar eine "Sicherheitspartnerschaft" vereinbart und für den "Katastrophenfall" eine völlig neue JavaScript-Funktion angekündigt: das staatliche Pop-Up-Window, dass sich bei Oderbruch, Luftangriff oder Reichstagsbrand von selber öffnet. "Wo früher die Sirenen heulten", so Schily, "soll künftig das Handy alarmieren, die Funkuhren schrillen und bei jedem, der gerade im Internet surft, sich ein Warnfenster öffnen." Dass in Zukunft weltweit zusätzliche Browser-Windows erscheinen sollen, sobald der deutsche Innenminister auf den Knopf drückt, dürfte den Herren von der ECMA, die über die Sprachstandards von JavaScript wachen, noch schlaflose Nächte bereiten. Aber vermutlich ahnen auch die bereits, was in den brachliegenden Internet-Innenstädten jeder Domain-Squatter und in Indien jedes Schulkind weiss: hier spricht nicht der Gute Deutsche der Datennetze, sondern bloss der Irre von Berlin. ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de